Die Bedeutung öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Krisenzeiten
Projektbeschreibung
Theo Kämmerer und Florian Geberth sprachen mit Roland Hochegger, Leiter Finanzen & Personal im ORF-Konzern, über den Wert journalistischer Arbeit bei fortschreitender Digitalisierung, über die Bedeutung von O-Tönen im Rundfunk sowie über kreative Bewerbungsstrategien.
Sie haben an der Fachhochschule Sankt Pölten sowie an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert und sind mittlerweile im ORF tätig. Angenommen, Sie würden morgen die Matura machen: Wäre Ihr Karriereweg nochmal genau gleich?
Wenn ich den Karriereweg so planen könnte, unbedingt. Aber er ist natürlich nicht planbar. Man kann sich zwar das eine oder andere vornehmen, aber es ist mitunter eine Verkettung von verschiedenen Faktoren. Begonnen hat meine Tätigkeit beim ORF mit einem Berufspraktikum während meines Magisterstudiums an der FH. Mittlerweile bin ich seit 17 Jahren im Konzern tätig und habe dabei die verschiedensten Positionen und Bereiche durchlaufen. Aufgrund dieser Vielfalt von Produktion über Finanz und Personal und aufgrund der Tatsache, dass ich wenig Tätigkeiten länger als drei Jahre gemacht habe, konnte ich in diesem Konzern schon sehr viel erlernen.
Das heißt, Sie haben den klassischen Einstieg über das Berufspraktikum am Ende des Studiums gemacht?
Ja, das kann man so sagen. Ich war zwar auch vorher in verschiedensten Internetsegmenten tätig, beim Geizhals Internet Preisvergleichs-Service oder bei Tiscali. Aber ja, zu Beginn war insbesondere der ORF Sport ein großer Traum von mir. Und der hat sich dann 2004 im Rahmen des viermonatigen Praktikums im 7. Semester erfüllen lassen. Das war eine große Freude. In der Abteilung gibt es einerseits den redaktionellen Teil, anderersetis den programmwirtschaftlichen Teil, der sich mit der Produktion, mit der Vertragsgestaltung, mit der kaufmännischen Seite befasst und auch die Koordination, die die Projektleitung der vielen großen Sportveranstaltungen innehat. Dort habe ich begonnen und dann hat sich während dieser vier Monate auch die Gelegenheit ergeben, dass ich zu einem Projekt meine Diplomarbeit schreiben und daher ein zweites Praktikum anhängen durfte.
Ich würde gerne nochmal kurz an den Anfang ihrer Laufbahn zurückgehen. Meine grundlegende Frage wäre: Wie war Ihre Vorerfahrung mit Medien? Warum ist Ihre Entscheidung für ein Studium auf die FH St. Pölten gefallen und warum der Bereich Medien?
Also ich habe mich tatsächlich bei zwei Fachhochschulen für drei Studiengänge beworben. Nachdem ich mich mit den Fachhochschul-Guides auseinandergesetzt habe, war es für mich klar, eher in die wirtschaftliche und nicht in die technische Richtung zu gehen. Mein Jahrgang war mm01, der erste Studiengang Medienmanagement. Davor gab es nur den Studiengang Telekommunikation und der war ein technischer mit drei Spezialisierungen: Telekommunikation, Medientechnik und Medienwirtschaft. Letztere hat man dann entkoppelt und zu Medienmanagement gemacht. Das wirtschaftliche Portfolio der Lehrveranstaltungen hat mich sehr angesprochen, in Kombination mit dem Medium Fernsehen und natürlich auch Internet.
Damals war in erster Linie der ORF als größtes elektronisches Medienunternehmen Österreichs interessant. Spannend waren darüber hinaus die Pay TV-Sender, damals hieß dieser noch „Premiere“ und noch nicht „Sky“. Es gab wirklich eine beeindruckende Entwicklung am Fernsehmarkt.
Das heißt, Ihre Erwartungen an das Studium sind erfüllt worden?
Absolut, weil für mich eine FH den Vorteil mitbrachte, ein guter Mix aus Theorie und Praxis zu sein. Darin konnte ich die Kontakte knüpfen, um das eine oder andere interessante Praktikum zu machen bzw. vor allem auch einen guten Anknüpfungspunkt zum Berufseinstieg zu haben.
Wie sehen Sie das mit Eigeninitiative und Eigenmotivation im Studium? Was würden Sie jungen Studierenden, die später mal im Journalismus oder in der Medienbranche im Management tätig sein möchten, auf den Weg mitgeben?
Generell würde ich sagen, dass Eigenmotivation und Eigeninitiative die wichtigsten Eigenschaften sind, die man haben kann. Ich bin seit einiger Zeit auch Personalchef von verschiedenen Bereichen und das ist in sämtlichen Bewerbungsgesprächen eine der Eigenschaften, die ich wirklich versuche herauszuarbeiten. Ist es jemand, der diese Kompetenzen mitbringt?
Gottseidank ist in vielen Branchen der Mensch die wichtigste Ressource. Und da ist es entscheidend, dass man selbständig arbeitende, sich wirklich mit Herzblut einbringende Mitarbeiter*innen im Unternehmen hat. Hoffentlich bekomme ich nicht nur ein Gehalt, sondern idealerweise gibt mir der Job auch persönlich etwas und ist damit eine persönliche Bereicherung.
Sie haben die Schere in der FH zwischen Theorie und Praxis angesprochen. Nach unseren Recherchen haben sie nachher noch das IMPA Level-D gemacht, quasi noch mehr das Gelernte in der Praxis angewendet. War die FH eine gute Basis für die Praxis?
Ich habe die Wirtschaftsuniversität nicht abgeschlossen, sondern nebenberuflich einige Lehrveranstaltungen besucht, um mich auch individuell weiterzubilden. Ich würde auf alle Fälle sagen, dass bei einer WU – wenn ich da an Accounting und Management Control denke, Buchhaltung, Bilanzierung beispielsweise oder an die Rechtsvorlesung – mehr gefordert wird als an der FH. Man muss aber auch sehen, dass es einen anderen Fokus gibt an der Fachhochschule. Man macht einfach viel mehr, man geht aber ein bisschen weniger in die Tiefe.
Wenn man sagt: Ich will in einer Buchhaltung tätig sein, dann ist Medienmanagement, glaube ich, die falsche Richtung. Wenn man aber sagt:ich will für den gesamten Medienmarkt offen sein oder ich will in die Werbebranche, dann lernt man an der FH sehr viel.
Nehmen wir das Beispiel Grafik: Der ORF macht ja nicht nur eine Zeitschrift, Print-Grafik, Inserate und Plakatwerbung, sondern auch in der ZIB Grafiken, und Augmented Reality ist jetzt ein Riesenthema. Das heißt, an der FH erwirbt man mit Photoshop und InDesign eine ganz gute Basis. Man muss dann aber auch Eigenmotivation und Eigeninitiative aufbringen, um den jeweiligen Ansprüchen gerecht zu werden. Man sollte dann die Komfortzone verlassen und Gas geben.
Und vor allem finde ich es cool bei uns auf der FH, möglichst viele unterschiedliche Freifächer zu wählen, damit ich da eben ein bisschen mehr Praxis bekomme. Sie sind seit 2015 Prokurist der OMC, der ORF Marketing & Creation GmbH & Co KG. Wie wichtig ist Marketing bei einem öffentlich-rechtlichen Sender eigentlich?
Wir in der ORF Marketing und Creation decken alle Marketing-Agenden ab von „Ö3“ und „Ö1“ bis zu „FM4“ und natürlich von der ORF-Dachmarke. Das ist etwas, das aus unserer Sicht natürlich hohen Stellenwert hat. Marketing ist ein Kundenbindungsinstrument. Das hat sich der Gesetzgeber beim ORF-Gesetz auch gut überlegt. Kommerzielles Marketing ist meistens dazu da, dass ich Umsatzerlöse generiere, dass ich die Gewinne steigere und ist damit unter anderem ein Kundenbindungsinstrument. Bei uns steht aber genau das im Vordergrund. Da geht es um den Austausch mit dem Publikum und um Feedback. Wir haben einen eigenen ORF Kundendienst in einer Tochtergesellschaft, für die ich bezüglich Personal und Finanzen zuständig bin.
Man soll nicht glauben, wie viele zigtausende interessierte Zuhörer*innen, Zuschauer*innen und Internetuser*innen sich bei diesem Kundendienst melden.
Sie sind wahrscheinlich durch Internet und die sozialen Medien mehr geworden.
Ja, absolut. Auch über die sozialen Medien bindet man die Kund*innen an die eigenen Produkte und liefert einen Mehrwert.
Das habe ich mir im Praktikum bei „Ö3“ gedacht. Ich bin gegenüber vom Touchpoint-Team gesessen und war für das „Weihnachtswunder“ zuständig. Wahnsinn, wie viel wertvolles Feedback da von den Hörer*innen gekommen ist. Man lernt beim Praktikum sehr viel von der Marketingperspektive. Im Prinzip ähnelt das privaten Medienunternehmen sehr. War hier ein Umdenken gefragt?
Nein, überhaupt nicht. Der ORF ist durch die Gesetzgebung limitiert. Auf der anderen Seite arbeitet der ORF viel privatwirtschaftlicher, als man glauben würde. Ich kenne das auch von anderen Unternehmen, die früher Monopolisten waren. Auch die ÖBB oder die OMV haben mitunter den Ruf, noch so zu arbeiten, wie das früher einmal war. Das ist aber nicht mehr der Fall.
All diese Firmen sind dazu übergegangen, privatwirtschaftlicher zu denken bzw. so denken zu müssen, weil es die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfordern. Die allerwenigsten Österreicher*innen zahlen gerne GIS-Gebühr und die allermeisten freuen sich, wenn sie geringer ausfällt. Gleichzeitig drängt im dualen Rundfunksystem auch die private Seite immer mehr danach, höhere Werbeeinnahmen zu generieren. Die fallen dann beim ORF als Platzhirsch ein bisschen geringer aus – und das ist definitiv eine Herausforderung.
Sie haben mir da gerade einen Elfer aufgelegt, den ich jetzt verwandeln muss. Sie sind ja nicht nur Prokurist bei der OMC, sondern auch in der Personaladministration von „Ö1“, „Ö3“, „FM4“ und beim ORF Radio-Symphonieorchester. Von vielen Parteien ist die Zahl an Mitarbeiter*innen und Dienstnehmer*innen, die der ORF hat in den letzten Jahren arg unter Beschuss geraten. Ist das eine Challenge für Sie?
Ja, es gab vom Stiftungsrat in den letzten Jahren klare Vorgaben. Der Stiftungsrat ist das Aufsichtsgremium des ORF, das bei börsennotierten Unternehmen der Aufsichtsrat ist. Der Auftrag war, die Valorisierung, die der ORF für die Gebührenentgelte beantragen kann und die in der Regel vom Stiftungsrat genehmigt wird, deutlich geringer ausfallen zu lassen. Intention war, dass die Gebühren für die österreichischen Konsument*innen niedriger werden oder zumindest nicht entsprechend erhöht werden müssen. Da muss man auch dazusagen, dass etwa in Wien und Niederösterreich nur etwa zwei Drittel dieser Gebühren dem ORF zugutekommt und immerhin ein Drittel als Einnahmen für die Bundesländer oder für die Stadt Wien einbehalten werden. Das heißt zwar ORF-Gebühr, ist es aber eben nur zum Teil.
Der Stiftungsrat hat also im Sinne des österreichischen Publikums verfügt, der ORF solle mit weniger Geld auskommen. Das ist legitim, genauso wie man das bei anderen öffentlichen oder privaten Unternehmen auch gemacht hat. Es ist eine riesengroße Herausforderung, denn die ORF-Geschäftsführung hat sich entschieden, das Leistungs-Portfolio nicht einzuschränken. Es geht also darum, mit 15 bis 20 Prozent weniger Personal dieselbe Leistung zu erbringen. Zusätzlich hat man mit „ORF III“ noch einen weiteren Fernsehsender aus der Taufe gehoben, der in seiner Nische unglaublich erfolgreich ist und ein Vielfaches etwa der Einschaltquoten von „3sat“ hat. Parallel dazu sind wir jetzt in der Entwicklung des ORF-Players, neben der TVthek. Die TVthek ist ja auch etwas, das selbstständig sehr, sehr gut angenommen wird. Die vielen Apps, die die On Demand-Dienste anbieten, sind dabei noch gar nicht angesprochen. Das bedeutet also mehr Leistung und weniger Personal. Das heißt natürlich, in vielen Strukturen wesentlich effizienter zu werden, weniger Zeit zu haben für Produktionen und auch natürlich die modernen Mittel der Digitalisierung zu nutzen.
Das heißt, Sie würden schon sagen, dass diese automatisierten Abläufe in gewisser Weise „personalschonender“ sind, dass durch die digitalen Möglichkeiten die Personalreduktion nicht so ins Gewicht fällt.
Die Personalreduktion ist im ORF sehr stark ins Gewicht gefallen. Wenn ich 15 bis 20 Prozent Personal einspare, kann ich das nicht nur in einem produktionstechnischen Bereich machen. Das wären dort 5 Personen weniger. Es waren aber 500, 600 Mitarbeiter*innen weniger. Die haben ja vorher gearbeitet in Redaktionen, die haben Beiträge gemacht, Diskussionssendungen auf die Beine gestellt, Sportsendungen produziert. Das muss man dann mitunter anders bewerkstelligen, ohne es zulasten der Qualität zu tun. Genau darin besteht die große Herausforderung. Natürlich gibt es moderne Systeme, Regieplatz-Automatisation oder Templates. Templates sind fertige Baukästen, in die Text eingefügt wird. Da ist der Personalbedarf dann mitunter da und dort etwas geringer. Aber das ist ein Bruchteil dessen, was der ORF an Personal verloren hat. Das konnte man mit technischen Lösungen nicht annähernd aufwiegen.
Medien sind die vierte Macht im Staat, und man hat sowohl bei der Ibiza-Thematik als auch jetzt bei Corona gesehen, wie wichtig ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist und welchen Mehrwert dieser hat. Man kann natürlich auch „Heute“ oder Fellner-Medien beobachten. Aber wenn ich möchte, dass die Berichterstattung objektiv ist, dann werde ich – sei das Deutschland, sei das Großbritannien, sei das Österreich – immer eher die öffentlich-rechtlichen Sender schauen und hören.
Wie gesagt, ich kann die Entscheidung des Stiftungsrates aus der wirtschaftlichen Sicht und auch aus jener der Kund*innen absolut nachvollziehen. Aber unterm Strich bekommt natürlich auch das Publikum ein bisschen weniger Angebot. Auch wenn das jetzt nicht gleich so wirkt, weil der eine oder andere Fernsehsender mehr und mehr Internet-Angebot hat. Wenn man eine Redaktion hat, die statt aus acht nur mehr aus fünf Personen besteht, dann können diese weniger Hintergrundrecherchen machen, weniger Erläuterungen liefern und es ist der eine oder der andere Beitrag dann vielleicht auch aus dem Archiv.
Ja, das stimmt. Das ist mir ganz stark in meinem Praktikum bei „Ö3“ aufgefallen.
Wenn man einen Vergleich zieht: Der „Bayerische Rundfunk“ allein hat so viel Personal wie der ORF. Der ORF hat aber nicht nur einen Kanal, sondern mehrere und damit ein ungleich größeres Leistungs-Portfolio als der „Bayerische Rundfunk“.
Man muss mit neun Landesstudios auch sehr regional sein. Das ist andererseits aber auch das große Asset, denn die zwei meistgesehenen regelmäßigen Sendungen sind die „Zeit im Bild“ und „Bundesland heute“. Auch die ÖBB schlägt sich damit herum, dass sie heute auch nach Horn fahren muss, auch wenn dann nur eine/r im Zug drinnen sitzt. Und die Westbahn gerne nur die Westbahnstrecke hat, weil das halt eine rentable Route ist. Gott sei Dank ist es bei uns so, dass das Regionale besonders gut angenommen wird.
Das auf jeden Fall. Ich würde gerne nochmal zurück zum Thema „personalschonender arbeiten“ kommen: Ein Professor an der FH hat in der Klasse aufgeworfen, dass wenn der neue multimediale Newsroom am Küniglberg kommt, mehrere Nachrichtenredaktionen zusammengelegt werden. Dann kann man zwar Personal sparen, allerdings arbeiten dann diese quasi nicht mehr gegeneinander, sondern verwenden in verschiedenen Formaten dieselben Beiträge. Das hat teilweise für ziemlich hitzige Diskussionen gesorgt. Wie sehen Sie das: Bleibt dann die Qualität im ORF wirklich erhalten?
Also zum einen muss man sagen, dass der multimediale Newsroom etwas ist, das uns seit einigen Jahren beschäftigt und uns die nächsten Jahre noch beschäftigen wird. Geplant ist, dass er Mitte 2022 in Betrieb geht. Und ja, die Vernetzung, die Trimedialität ist etwas, das viele Vorteile mit sich bringt. Wenn sich jemand mit einem Thema intensiv beschäftigt und einen „ZIB“-Beitrag macht, warum soll die Person dann nicht auch auf „Ö1“ dieses Wissen teilen? Auf der anderen Seite muss man immer vorsichtig sein, denn diese Sender haben alle ihre Brand, ihre Identity. Und wenn man sich „Ö1“ und „Ö3“ anhört, dann erkennt man viele Unterschiede. Und zwar auch in der Klangfarbe, im Tempo und so weiter. Dazu ein Vergleichswert, den viele nicht kennen: „Ö1“ hören in etwa genauso viele Österreicher*innen wie „Kronehit“. Beide bewegen sich bei ca. 10 Prozent. Als ORF bin ich also gut beraten, wenn ich für dieses große Publikum nach wie vor individuellen Content anbiete. Die Sorge, dass das Einheitsbrei wird teile ich überhaupt nicht. Das wird bei uns auch personell so sichergestellt sein, da es verschiedene Ansprechpartner*innen gibt.
Dann würde ich gerne in die Zukunft schauen: Gerade im letzten Jahr hat es in der Medienbranche gefühlt den größten Umbruch gegeben. Radiosendungen, die teilweise von zuhause produziert worden sind oder generell Reporter*innen im Home Office und nur für wichtige Dinge nach draußen gegangen sind. Glauben Sie, wird man das beibehalten? Oder wird es wieder wie früher werden?
Teilweise ist es schon wieder ein bisschen wie früher. Aber man muss sehr stark trennen: Es gibt Tätigkeiten wie etwa den Newsroom. Ich kann eine Redaktion, die im Studio Fernsehen macht oder die ein Livejournal abwickelt, nicht von zu Hause produzieren lassen. Das heißt, Sendungen werden nach wie vor aus den Studios produziert und von den Regieplätzen gesendet. Aber Beiträge wurden zu Hause recherchiert, vorbereitet, verfasst bzw. gestaltett. Das war in den letzten 12, 15 Monaten in einem viel, viel stärkeren Ausmaß als in der Vergangenheit der Fall. Wir sind aber schon in den letzten Monaten Zug um Zug ein bisschen in die Produktionsnormalität zurückgekehrt, die aber auch zukünftig von der Pandemie und den jeweiligen Rahmenbedingungen beeinflusst werden wird.
Glauben Sie, dass die Chancen nach Corona für junge Journalist*innen wieder besser werden?
Ich glaube, dass die Arbeitsmarktchancen für alle Bewerber*innen besser werden. Ich bin in zwei Personalfunktionen tätig und wir haben regelmäßig Inserate ausgeschrieben auf „jobs.orf.at“. Mitunter ist es so, dass man in den verschiedensten Bereichen gar nicht die Bewerber*innen findet, die man braucht. Wir hatten vor kurzem drei Grafiker*innen gesucht, zwei Funktionen sind mittlerweile besetzt, aber im Bereich Motion Grafik tun wir uns tatsächlich seit Monaten sehr schwer. Das ist beispielsweise auch in den Bereichen Controlling oder HR der Fall. Es ist nicht ganz so einfach, jemanden zu finden, die oder der zumindest zwei bis drei Jahre Berufserfahrung hat und u.a. die vorher angesprochene große Eigenmotivation und Eigeninitiative an den Tag legt.
Das ist auf jeden Fall eine wichtige Einschätzung. Vor allem gerade, wenn künstliche Intelligenz im Journalismus oder Automatisierungen, wie Sie es vorher schon angesprochen haben, zunehmen werden.
Also die Chancen schätze ich als gut ein. Gerade wenn man ein Asset bieten kann, das nicht jede/r zu bieten hat. Engagement und das auch zu zeigen bei Bewerbungsgesprächen ist sicher Grundvoraussetzung. An den Inseraten liegt es nicht. Wie gesagt, da haben wir immer genug online. Man muss sich a) wirklich bewerben und b) die Bewerbung auch möglichst gut zuschneiden. Ich habe vor kurzem eine Bewerbung bekommen, wo im Motivationsschreiben ein sehr schöner Fließtext war und in dem alle „Ö1“-Sendungen – übrigens sind das ca. 100 „Ö1“-Sendereihen – angesprochen wurden. Es war ein sehr kreativer, sehr guter Text. Ja, so macht man auf sich aufmerksam.
Ich würde gerne über das Thema Radio sprechen, Stichwort: „Spotify“ vs. Radio. Sie sind Personalleiter der ORF-Radioprogramme und „Spotify“ wird immer wichtiger: Der ORF darf aktuell wegen dem ORF-Gesetz keine individualisierten Playlists über Apps anbieten. Wie ist Ihre Einschätzung diesbezüglich für die Zukunft?
Ich bin nicht der Digitalisierungs- oder Plattform-Experte, da gibt es versiertere Kolleg*innen als mich. Aber was wir natürlich tun, ist in Richtung sämtlicher Plattformen unsere Produkte anzubieten. Das können Audio on Demand-Leistungen sein, das ist natürlich auch stark im Streaming, aber unser Fokus liegt auf alle Fälle jetzt auf dem ORF-Player. Der ORF-Player ist eine Dienstleistung, die Online, Audio, Video und mitunter auch Print Content verbindet und öffentlich-rechtlichen Content sehr vielschichtig zur Verfügung stellt. Da ist eine TVthek, eine Radiothek, Sendungen zum Nachhören oder zum Nachschauen sind ein Teil davon. Da kann es früher oder später auch, wenn die gesetzlichen Schranken fallen bzw. wir da mehr Möglichkeiten bekommen, ein bisschen exklusiven Content geben. Wir haben auch Angebote wie „Fidelio“ oder „Flimmit“. „Flimmit“ ist eine Plattform, wo wir jetzt auch sehr stark den Fokus auf die öffentlich-rechtliche Sparte legen, auf Publikumhits, wo man mitunter parallel – früher hat man DVD-Erscheinungsdatum gesagt – zu den diversen Film- oder Content-Plattformen am Ball sein kann. „Spotify“ ist eine Plattform wie viele andere auch, die kommen und gehen, meine ich. Aber natürlich ist es für uns wichtig, in bestehende Plattformen mit einer großen Reichweite reinzukommen und unsere Produkte anzubieten.
Sie waren in der Programmwirtschaft beim Sport. Wenn man auf „DAZN“ schaut, mit Mobile Reporting und den Sprecher*innen und Kommentator*innen, die zu Hause oder in einem Tonstudio, jedenfalls aber nicht vor Ort sitzen: Da kann man schon Kosten sparen. Ist das auch eine Überlegung, die der ORF hat?
Absolut. Das ist aber nichts Neues, der ORF macht es mitunter seit vielen Jahren. Es hängt immer davon ab, welche Prioritäten man setzt. Ich habe größte Wertschätzung und will gar nicht alle Sportarten in einen Topf schmeißen. Wir werden natürlich nach wie vor eine Kommentatorposition bei einem Fußball-Finale buchen. Aber man wird vielleicht, wenn man die Schwimm-Europameisterschaft aus Ungarn überträgt, nicht unbedingt eine/n Kommentator*in vor Ort haben. Das sind jetzt punkto Publikumsinteresse zwei Extrembeispiele. Ich weiß auch, dass andere Content Provider oder Broadcaster wie „Sky“ das während der ersten Monate der Corona-Pandemie eine Zeitlang auf Positionen vor Ort verzichtet haben. Das muss in der aktuellen Situation jeder Sender für sich entscheiden.
Wir merken die Bedeutung der ganzen Atmosphäre vor Ort sehr, sehr stark bei „Ö3“. Beim Fernsehen kann man das gut verstehen. Der Kommentator interviewt vorher und nachher. Er bekommt zusätzliche Infos und zwischendurch kann man auf ihn schalten und die Atmosphäre einfangen. Aber „überraschenderweise“ ist das im Radio fast noch wichtiger. Dort habe ich ja „nur“ die Audiospur. Wenn sich ein Kommentator aus einem vollen Stadion meldet und im Hintergrund hört man 80.000 Zuschauer*innen schreien oder wenn man die Formel1-Autos im Hintergrund vorbeizischen hört, dann ist ein Radiobeitrag auf „Ö3“ wesentlich authentischer, als wenn das aus dem Studio kommt.
Das könnte man ja doch auch irgendwie aus dem Studio machen, oder? Dann hört man nicht die Fans vor Ort, sondern man fügt die Soundeffekte hinterher ein. Ich habe das teilweise mitbekommen im Praktikum. Es hat natürlich nicht ganz authentisch gewirkt. Aber wäre das nicht auch eine Möglichkeit?
Es ist sicher eine Möglichkeit, um Kosten zu sparen. Ich nutze die deutsche Bundesliga recht intensiv oder auch die die Premier League. Dort habe ich das eher schlecht gefunden, muss ich sagen. Also wenn man im Rundfunksegment tätig ist, dann ist einem der Ton wichtig und man hört das einfach. Es klingt dann recht zweitklassig, und für mich stellt sich eher die Frage, ob man die Atmosphäre dann nicht ganz weglässt. Ich glaube, es ist besser eine Entscheidung zu treffen: Ganz aus dem Studio oder ganz vor Ort.
Beim Premium Content gilt, dass er beim Publikum entsprechend gut ankommen sollte und daher nimmt man die Kosten in Kauf. Wenn Sender Millionen für Sportrechte ausgeben, ist es vielleicht auch ein paar 100 Euro wert, in den Flug zu investieren?
Ich finde auch, dass man – wie etwa beim Europa League-Finale – hört, dass da wieder Menschen sind und nicht nur eine Tonspur.
Nicht unterschätzen sollte man auch die die Rand-Informationen, die man bekommt. Wenn jemand vor Ort ist im Media Quarter, bekommt sie oder er vorher schon Informationen und hat einen direkten Draht zu einem bzw. einer UEFA-Ansprechpartner*in. Der oder die steht dort in der Mixed Zone und kann dort Interviews machen. Das bekommst du sonst alles nur über die internationale Leitung und damit nicht so, wie du es gerne hättest, nicht zu dem Zeitpunkt, wann du es gerne hättest und nicht mit der Frage, die du gerne hättest. Damit stellt sich die Frage: Wie wichtig ist mir das Sport-Ereignis?
Eine Abschlussfrage: Wie wird sich die Medienbranche nach Corona Ihrer Einschätzung nach am meisten verändern?
Das Schlechte an der Zukunft ist, dass sie sich nicht vorhersagen lässt. Ich glaube nicht, dass alles anders sein wird. Die Arbeitsrealität ist, glaube ich, in der Medienbranche nicht anders als in anderen Bereichen. Wir müssen uns Gedanken machen, wo die Leistungen erbracht werden. Geht Homeoffice weiter? Ist das etwas, das die Arbeitgeber und auch die Arbeitnehmer*innen weiterhin so haben wollen? Und ist das auch sinnvoll? Es gibt sicher wirtschaftliche Folgen daraus. Nicht umsonst erhöht „DAZN“ die Abo-Preise. Das sind generelle wirtschaftliche Entwicklungen, die durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurden. Corona war der letzte Knackpunkt, der dazu geführt hat Leistungen, die in der Vergangenheit vielleicht nicht rentabel waren, zu restrukturieren oder einzustellen und etwas anderes anzubieten.
Gleichzeitig ist das Schöne an der Medienbranche, dass es immer etwas zu berichten geben wird. Es ist so wie in der Lebensmittelbranche: Die Leute werden immer essen und sie werden immer Content konsumieren. Deshalb glaube ich, dass man sich um die Medienbranche als Gesamtes keine Sorgen machen muss. Da wie dort wird es andere Schwerpunkte geben. Die Digitalisierung entwickelt sich auch so oder so… Wir hoffen alle, dass jetzt ein bisschen mehr Normalität einkehrt, vor allem natürlich auch in die wirtschaftliche Situation.
Wir hätten jetzt noch einen kleinen Word-Rap für sie.
Primetime: Spielfilm oder Reportage?
Eher Reportage, wobei die Primetime nicht meine Time ist. Primetime arbeite ich meistens noch.
Charts oder Klassikmusik?
Sowohl als auch. Also… Klassische Charts.
Skifahren oder Fußball im TV?
Fußball.
Auto oder Fahrrad?
Auto.
Medienmanagement: Journalist oder Manager?
Manager.
Medienmanagement ist für mich…
ein sehr guter Bogen über sämtliche wirtschaftliche Fachrichtungen in der Medienwelt.
Die Entwicklung der Nachrichtenberichterstattung ist für mich…
eine sehr spannende. Wenn man an die Schwarz-Weiß-Auftritte von Hugo Portisch denkt und sich gar nicht vorstellen kann, wie eine Nachrichtenberichterstattung in 30 Jahren sein wird. Und allein die Tatsache, dass ein/e Radioredakteur*in mit einem iPhone alles selbst machen kann, bis dass der Beitrag auf Sendung geht und man da mit den EarPods vor Ort als Korrespondent*in steht. Eine sehr spannende Entwicklung.
Der ORF bräuchte…
Der ORF bräuchte von der Gesetzgebung mehr Freiheiten, um seinen gesetzlichen Auftrag noch besser erfüllen zu können und dem Publikum einen noch höheren Mehrwert bieten zu können.
Meine Jobs liebe ich, weil…
Meine Jobs mag ich insofern sehr, sehr gerne, weil sie sehr viele verschiedene Bereiche abdecken, ich immer ein großes Faible für Finanzen hatte und es nichts Schöneres gibt, als mit Menschen zu arbeiten und das kann man gerade in einer Personalabteilung sehr gut.
Die Zukunft des Radios ist…
Die Zukunft des Radios ist eine sehr rosige, weil das Radio im Unterschied zum Fernsehen einerseits auch immer ein Medium ist, dass man nebenbei konsumieren kann. Wie uns der Radiotest ständig zeigt, macht der ORF nicht nur ein sehr gutes Programm und gibt es auch gute Programme im privaten Rundfunk, sondern ist die Radio-Nutzungsdauer sehr hoch und sehr stabil.
Das Studium an der FH hat mich…
sehr interessiert, mir viele Möglichkeiten geboten und war ein sehr, sehr guter Einstieg.
Meine beste Berufserfahrung war…
Meine beste Berufserfahrung ist die laufende.
Mein Rat an junge Journalist*innen bzw. Medienmanager*innen ist…
eine gute Ausbildung zu machen, sich sehr engagiert zu zeigen, sich vielfältig zu bewerben und kreativ zu sein, um dann später einmal auch das zu finden, was Sie wirklich machen wollen und das auch machen zu können.